Etwas später als sonst... aber noch rechtzeitig
18. Dezember
Weihnachtsstory
Heiß wie Feuer brannte die glasklare kalte Luft auf Nicks Backe, die bereits zu großen roten Äpfeln angeschwollen waren, ganz zu schweigen von seiner knubbeligen Nase, die im Fahrtwind angeschwollen war wie eine Kartoffel. Die Rentiere liefen auf höchstem Energieniveau zu einem neuen Rekord an, und das war auch nötig, wenn Nick noch die restlichen Geschenke rechtzeitig abliefern wollte. Dieser dumme Zwischenfall mit dem Haarriss in der primären Magiekammer hatte ihn mehrere Stunden hinter den Zeitplan zurück geworfen.
"Verdammte Elfen", dachte er bei sich, "können nicht mal richtig mit Tesafilm umgehen", und grummelte sich noch ein paar weitere Flüche in den Rauschebart. Durch des dichte Schneetreiben war es gar nicht so einfach, einen Weg auszumachen, aber das brauchte Nick auch gar nicht, er wusste welchen Kurs er nehmen musste, um die wirklich braven Kinder des letzten Jahres zu finden. (Zum Glück gab es davon nicht ganz so viele, wie allgemein vermutet wird.)
Das plötzliche grellgelbe Licht blendete ihn wie die aufgehende Sonne ihn manchmal blendete, wenn er sich im Frühjahr auf seinen Landsitz hoch oben am Nordpol zurück gezogen hatte. Vor Schreck riss er an den Zügeln und brachte das Gespann quietschend und mit einigem Schneeaufwirblen zum Stehen. (Eine ziemliche Meisterleistung, wenn man bedenkt, das diese Hochenergierentiere den Schlitten auf nahezu Schallgeschwindigkeit zu beschleunigen. Bei dieser Geschwindigkeit eine Vollbremsung hinzulegen, konnte durchaus zu einem Eindämmungsbruch in den Logikkompensatoren führen.)
Schnaufend und schwitzend saß er auf der Bank und rang nach Luft. Er konnte sich nicht erklären, was er gerade gesehen hatte. Waren diese zwei Gestalten, die er im gleißenden Licht ausgemacht hatte, echt oder nur ein Trugbild, das sich auf seiner Netzhaut als optische Täuschung abgebildet hatte? Er beschloss, zuerst ein mal den Schlitten zu überprüfen. Schwungvoll stieg er ab und begann, die Tragflächen zu untersuchen.
"Guten Abend, der Herr."
Nick wäre vor Schreck beinahe das Herz in die Hose gerutscht.
"Allgemeine Verkehrskontrolle. Dürfte ich mal Ihren Führerschein sehen? ...und die Fahrzeugpapiere", fügte der Polizist mit einem seltsamen Seitenblick auf Nicks Gefährt hinzu.
"Führerschein?" stammelte Nick. "Wozu braucht man einen Führerschein für einen Rentierschlitten?"
"Sagen Sie, haben Sie etwas getrunken?"
"Ja natürlich. Fahren Sie mal die ganze Nacht mit so einem Schlitten rum, da wird man durstig das kann ich ihnen sagen..."
"Ich meine Alkohol," erklärte es ihm der Polizist mit einigem Nachdruck, während die andere Gestalt noch immer damit beschäftigt war, um den Schlitten herum zu watscheln und hier und da einen prüfenden Tritt gegen die Kufen zu tun.
"Ähm, naja, bei den Eltern vom kleinen Billie Tormann habe ich einen Eierlikör bekommen, sie wissen doch, wie sich Eltern freuen, wenn..."
"Ahja." Mit einem interessierten Gesichtsausdruck fuhr er weiter fort: "Sagen Sie, wissen Sie, wie schnell Sie eben gefahren sind?"
"Nunja, ich kann das nicht so genau sagen, sehen Sie, es ist ja nicht gerade so, dass mein Schlitten einen Tachometer hätte."
"Soso."
"Und von meinem persönlichen Eindruck her, da würde ich sagen..."
"Ja?"
"So etwa 250..."
"Hm..."
"...Meter pro Sekunde."
"Wir haben Sie mit ziemlich genau 18.512 km/h gemessen, dort hinten, ist ihnen das klar?"
"Oh, das sind dann ja..." Im Kopfrechnen war Nick nie besonders gut gewesen. "um die 310. Das ist ja beinahe ein neuer Rekord." Stolz stieg in sein Gesicht und verlieh ihm eine noch rotere Farbe als sonst.
"Wissen Sie, dass an dieser Stelle nur 70 erlaubt ist? Das ist eine wirklich gefährliche Kurve dort vorne."
"Oh. Nunja, sehen Sie, ich hatte es eilig..."
"Sagen Sie", meldete sich nun zum allerersten Mal auch der andere Polizist zu Wort, "dieses Kostüm, was sie da anhaben. Was soll das eigentlich darstellen?"
"Hören Sie, guter Mann. Hat Ihnen Ihre Mutter niemals vom Weihnachtsmann erzählt?"
"Der Weihnachtsmann also."
"Dacht ich's mir doch."
"Wissen Sie, das sie heute schon der dritte..."
"Der vierte", unterbrach ihn sein Kollege.
"...der vierte Weihnachtsmann sind, der hier mit überhöhter Geschwindigkeit durchkommt?"
"Ähm, nein?"
"Aber Sie schießen wirklich den Vogel ab."
"Aber..."
"Was ist jetzt mit dem Führerschein?"
"Aber ich habe keinen Führerschein."
"Oha, Fahren ohne Fahrerlaubnis. Das haben wir gerne."
"Hören Sie, ich habe es wirklich sehr, sehr eilig. Ich muss noch 42 Gesch..."
"Nun mal langsam mit den jungen Pferden, Herr..."
"Das sind Rentiere. Das erkennt man am Geweih," unterbrach ihn abermals sein Kollege.
"Ist doch egal, Hubert. Können Sie sich ausweisen?"
"Ich bin der Weihnachtsmann, das sieht man doch wohl."
"Genau, aber sie müssen doch einen Personalausweis oder..."
"Ich bin der Weihnachtsmann, ich wohne am Nordpol, ich fahre einen Rentierschlitten, herrgottnochmal, der sich wider jegliches Naturgesetz mit beinahe Schallgeschwindigkeit fortbewegt..."
"...was ganz eindeutig einen Verstoß gegen die StVO darstellt..."
"...warum sollte ich einen also Ausweis haben? Ich bin eine mythologische Figur, Kruzitürkennochemal, was denken Sie denn? Dass ich zum Einwohnermeldeamt gehe und einen beantrage? Ich kann denen ja nicht mal klarmachen, in welchem Landkreis ich wohne!"
"Jetzt werden Sie mir mal nicht pampig! Sie haben hier schließlich die Ordnungswidrigkeit begangen, und dieser Schlitten sieht mir – um ehrlich zu sein – auch nicht besonders verkehrstüchtig aus."
"Was ist an dem Schlitten auszusetzen?"
"Nun, zuerst einmal keine Scheinwerfer, keine Rücklichter..."
"Das wird mir jetzt zu blöd, ich gehe! Und erwarten Sie keine Geschenke unterm Baum, dieses Jahr."
"Halt! Wir sind noch nicht fertig, junger Mann."
"Leck mich!"
"Das ist Beamtenbeleidigung! Hubert, ruf die Verstärkung, der versucht, abzuhauen!"
"Und was soll ich denen sagen? Dass wir einen Rentierschlitten mit einem komischen alten Kauz drin angehalten haben, der behauptet, der Weihnachtsmann zu sein, weil er mit achzehntausend Sachen durch unsere Radarfalle gerast ist? Nein danke, die halten uns doch für bekloppt."
"Nikolaus, bitte", korrigierte ihn Nick.
"Aber wir können ihn doch nicht weiterfahren lassen, der gefährdet doch die öffentliche Sicherheit mit diesem... Teil!"
Eines der Rentiere schnaubte verächtlich.
"Wenn es das dann war, meine Herren, mache ich mich jetzt wieder auf den Weg." Mit dieses Worten schwang er sich – so weit man das von einem 300 Pfund Weihnachtsmann behaupten kann – in seinen Schlitten und rauschte davon.
"Halt! Haaalt! Im Namen das..."
"Ach vergiss es, der ist weg."
Beide starrten noch einige Zeit dem funkenstiebenden Schlitten hinterher, bis dieser um die nächste Ecke gebogen war und außer Sichtweite verschwand. Dann drehten sich die beiden um und wanderten langsam zurück zum Streifenwagen.
"Ich bin ja mal gespannt auf das Foto", brummelte Hubert.
(Jan Beinersdorf)